Im Projektraum 8. April–22. August 2021
Für TOXIC setzt Mike Meiré Werke von irritierender Schönheit in Szene und schafft einen energetisch aufgeladenen Raum, der zutiefst verunsichert. Das Nebeneinander von High- und Low-Materialien erschüttert unsere Sehgewohnheiten. Skulpturen aus Keramik und Bronze stehen vor Wandarbeiten aus industriellen Folien. Der Raum wirkt wie aus der Zeit gehoben. Das Raster auf der Keramik, der Riss in der Folie, die Falte im Papier – überall Codes, die uns Wahrheit versprechen und doch in die Irre führen.
TOXIC II
Wir erleben gerade eine post-pandemische Phase, Normalität kehrt vermeintlich zurück. Die Wirklichkeit bleibt toxisch.
Mike Meiré reagiert und passt seinen Raum real und virtuell der Jetztzeit an.
Anne-Marie Bonnet
Auszüge aus einer Rede
Parasitäre Räumlichkeit?
Meiré’s Raum bietet sich zum einen scheinbar als gedämpfter Ort der Ruhe oder Konzentration an ... dennoch steht er unter Spannung ... durch eine subtile akustische Störung, einen diffusen Ton, gleichsam als habe man einen Tinnitus ... dies sorgt für eine Irritation des sich ‚ein-räumens‘ der Besucher:innen ... der angebotene Rückzug ins Andere ist also kontaminiert ...
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Die mit dem Minimalismus eines Imi Knoebels oder mit der Farbfeldmalerei eines Rothkos kokettierenden Bilder entpuppen sich in ihren delikaten Farbigkeit(en) und Oberflächen als aus billigsten alltäglichen Plastikfolien und/oder bearbeitende Zeitungsseiten hergestellt. Auch die schimmernden Metallreliefs, die scheinbar veredelten Lüftungsschächte bestehen ‚eigentlich‘ aus Zeitungseiten, die zusätzlich durch ihre Faltungen auf die Schutzmasken, die nun seit einem Jahr zum pandemischen Alltag gehören verweisen. Die Gefäße, sind denn auch keine Behältnisse sondern ausgegossene Verpackungen von KI gesteuerter digitalen Objekten oder Requisiten aktueller Lebensformen (HomePod’s Alexa, Siri) in deren Oberflächen Raster Muster oder Anspielungen auf verschiedene keramische Lasurkulturen angebracht wurden. Obwohl also auf Aktuelles verweisend muten diese keramische Vexier Objekte, wie archäologische Funde an ...
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die elegante glasige minimalistische Plastik, eine Parodie von Judds ‚specific structures‘ entpuppt sich als aus Industrieseife hergestellt ... 2x kodierte anspielungsreiche High and Low Materialien also ...
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haben wir doch gelernt, dass nicht das Exponat allein, sondern der Ort seines ausgesetzt Seins (exhibition: exibitioniert sein) aktiver Bestandteil der Metamorphose vom Ding zum Werk ist ... Deshalb griff Meiré – wie eben gezeigt zuerst in den Raum ein – wohl wissend, dass er seine Werke aussetzt ... so wollte er doch selbst die Art des Aussetzens mitbestimmen. [...] Mike Meiré indes ist zum einen an der Ikonographie der Objekte (Zeitung, Maske, HomePod, Arbeitshandschuh, Seife etc.) interessiert aber auch an der Beschaffenheit, der Eigenart und der Wirkung der Ästhetik der Materialien ... die er entweder konterkariert oder offenlegt.
Toxische Ästhetisierung?
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Der Materialmix aus banalen Alltagsmaterialien und Objekten: Zeitung, Industriefolie, Industrieseife oder Verpackung vehikuliert viel Zeitgenössisches: so mahnt die Folie sowohl die Umweltseuche des Plastikmülls an, wie auch Isolation und Hygiene, sowie die Anspielung auf die Maske in den Faltungen ... auch Zeitungsseiten werden als Grundlage genutzt, ... was ist vergänglicher als eine Tageszeitung? ... das Ephemere wird jedoch gleichsam im Guss verewigt ... hier werden die banalen Alltagsmaterialien indes transformiert, veredelt, ‚ästhetisiert‘ ... werden sie damit in Kunst überführt?
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Was bedeutet die ‚Veredelung‘ der billigen Vergänglichkeit des Zeitungspapier in die edle Bronze? Neben dem ironischen Verweis auf das Vanitas Thema und auf die Kunst als Anspruch auf Dauer und Ewigkeit, was bedeutet hier die ‚höhere Wertigkeit‘? Mehr Wert im Sinn von teurer? Meint MM, das süße Gift der Ästhetik?
Schlägt das Gift zurück?
Was passiert in dieser Überführung? Hat die Ästhetisierung das Gift neutralisiert oder erst recht entfacht?
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Meiré’s Sensibilität für die Materialien, das Freilegen der Schönheit des Banalen, gar noch aus einem Riss ästhetisch Kapital schlagen zu können ... die Verfremdungen, die im Alltag Übersehenes freilegen und zugleich in eine andere Bewusstseinsform überführen setzt die Betrachtenden in einen Zustand der Unsicherheit, des Wahrscheinlichkeitswissen, des Nichtwissens und Vermutens ... wirft sie auf sich zurück.
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In diesem Moment der Schwebe, wenn Wörter (Zuschreibungen) von ihrem Sinnzwang vorüber befreit sind, sich eine Ungewissheitszone eröffnet und Bedeutung noch ermittelt werden kann: ereignet sich Kunst.
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Wenn das Denken herausgefordert wird, wenn zwischen der Welt/ dem Erlebten und den bekannten Begriffsinstrumenten, mit denen wir uns für gewöhnlich eingerichtet haben sich eine Kluft auftut. Wenn statt der Eindeutigkeit von Informationen, sich der Luxus der Produktion von Differenzen und Verfehlung einstellen kann ... man semantisch ausrutscht und nun eigene Bestimmungen, Erkennen des Wahrnehmens möglich sind ... wird man des eigenen Schönheitssinns gewahr.
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Wenn man sich dem Gift der herrschenden Begriffe und Imperative, die Kenntlichkeit und Überschaubarkeit suggerieren entziehen kann, dann ist: (Zitat) „es möglich Gift in Medizin zu verwandeln“. (Zitatende)
Galerie Gisela Clement