Group Show 13. November–23. Januar 2019/2020 kuratiert von Anne-Marie Bonnet
Talk I 17. Dezember, 19 Uhr Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet, Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn. Prof. Dr Dr. Werner Gephart, Direktor des Käte Hamburger Kollegs "Recht als Kultur" der Universität Bonn, Prof. Michelle Grabner, School of the Art Institute of Chicago, Künstlerin Talk II 21. Januar 2020, 19 Uhr Prof. Dr. Anne-Marie Bonnet, Kunsthistorisches Institut der Universität Bonn, Prof. Stephan Baumkötter, Hochschule für Künste Bremen, Künstler, Tamara Greic Künstlerin, Prof. em. Dr. phil., Lic. theol. Friedhelm Mennekes, Theologe, Prof. Dr. Rainer Schäfer, Institut für Philosophie, Universität Bonn
Im Kontext der Kunst wird heute von vielem gesprochen, aber schon lange nicht mehr von Schönheit. Seit der POP ART kann alles Kunst werden, in den 1960er und 70er Jahren wurde gar die Formel von den „nicht mehr schönen Künsten“ geprägt. Schönheit ist gleichsam zu einem Tabu geworden. Wie kann man hier & jetzt ‚Schönheit‘ bestimmen, erkennen... jenseits von Gefälligkeit oder allgemeinen Floskeln?
Wie wird ,Schönheit‘ definiert in Zeiten, in denen Wirklichkeit(en), Körper, Oberflächen nicht nur digital ständig ‚aufgehübscht‘ bzw. ‚optimiert‘ werden?
Wer traut sich heute noch zu sagen, man habe etwas ausgestellt, erworben, gesammelt, weil es ‚schön‘ ist? Ein Kunstwerk ist ‚neu‘, ‚anders‘, ‚bedeutend‘, vielleicht sogar ‚postkolonial‘? Aber schön?
Die von Anne-Marie Bonnet kuratierte Ausstellung „Schönheit !?“ ist eine Einladung zur Selbstbefragung und zum Austausch.
Schönheit ist Rätsel, Anreiz zur Suche, Ansporn, sensuelle und intellektuelle Herausforderung. Sie kann eine Versuchung, eine Falle sein, und ist doch der Prüfstein zwischen Sein und Schein. Sieht, fühlt, weiß oder kennt man sie? Sie kann gespürt, gehört, gelebt werden und wird vielfach instrumentalisiert. Spieglein, Spieglein an der Wand, sag mir: Was ist Schönheit in der Kunst?
Schönheit!?
„Was die Schönheit ist, das weiß ich nicht“,
ist eine oft zitierte Aussage von Albrecht Dürer, einer meiner großen Lieben - neben der zeitgenössischen Kunst. Ins Englische übersetzt lautet sie: ‚What beauty is i do not know‘ und dient als Titel für eine Ausstellung von Kasper König, die aktuell in der Kapellen-Galerie Johann Königs zu sehen ist. Hat also ‚Schönheit’ plötzlich Konjunktur? Und ich meine nicht etwa die ‚Beauty Days’ in München, eine Schönheitsmesse der Burda Medien, bei der es vor allem um kosmetische Probleme und deren mediale Verwertung ging ...
Die letzte große ‚Schönheitsausstellung‘, von der ich weiß, fand im Jahre 2000 in Avignon statt, kuratiert von Jean de Loisy im Papstpalast anlässlich der Milleniums-Feiern, trug den Titel ‚La Beauté in fabula’ und war eine große Ausstellung entlang eines Narrativs der Liebes- geschichte von Dantes und Laura. Warum wollte ich schon immer zu diesem Thema eine Ausstellung machen? Als Kunsthistorikerin war ich zwar mit den sog. ‚Schönen Künsten’ befasst, aber zwei Fragen wurden in meinem Fach nie wirklich gestellt: Was ist ‚Kunst’? Was ist ‚Schönheit’? Einer Kunsthistorikerin, diese Fragen zu stellen, kommt einem unsittlichen Antrag gleich. Bekanntlich galt lange die Gleichung schön = gut = wahr ... Aber spätestens in den 1960er Jahren kam die Rede auf von den ‚nicht-mehr-schönen Künsten‘, wurde die Kunst doch definitiv rebellisch und kritisch, enttäuschte die Erwartungen an ausgleichende oder tröstende Gefälligkeit.
Schönheit ist ein Wertbegriff und basiert auf einem Urteil
Dürers eingangs zitierte Aussage geht noch weiter, und zwar so (das wird fast nie zitiert): „Ich weiß durchaus, was für mich schön ist, aber auch, dass ein Anderer an anderem Ort oder zu anderer Zeit anders urteilen wird.“ Er wusste also um die Subjektivität und Relativität seines Urteils und hatte selbst auf der Suche nach den idealen Maßen eines schönen Körpers, für die es in der Antike Proportionsregeln gegeben hatte, für sich entschieden, dass es so normativ nicht gehe, gebe es doch in der Natur viele Maßstäbe. Ihm genügte nicht das wohlproportionierte, ansprechend gestaltete, das ideale abstrakte „Maß“, mit dem in Antike und italienischer Renaissance das Problem der ‚Schönheit in der Kunst‘ gelöst worden war, eben normativ (Platon, Philebos). Er hingegen fand in der Natur viele verschiedene Schönhei- ten, die des Alten, des Jungen, des Dicken, des Dünnen etc ...
Spannung zwischen Idee und Realität
Zwischen dem idealen Maß und der Natur sah Dürer zwar eine Spannung, da aber auch die Natur Gottes Schöpfung sei, sei sie zu respektieren und nicht im Sinne von ‚ars superat naturam’ normativ wegzuerklären. Eine die Natur übertreffende Kunst bescherte ja dann auch der europäischen Kunst viele Jahrhunderte lang nicht wenig Kitsch! Man könnte meinen, Dürer hätte Platon gelesen: In der Tradition antiker Philosophie (Sokrates, Platon) trauert man im irdischen Dasein immer dem Verlust der Idealität der reinen Gedankenwelt nach, und im Schönen hat die im Irdischen gefangene Seele die Chance, dem im Vorleben geschauten Guten und Wahren näher zu kommen! Im Konflikt zwischen der Schönheit der Natur und jener der Kunst erfand Dürer die Anthropometrie, kam aber zu keiner Lösung: „Wer die Kunst aus der Natur heraus kann reißen, der hat sie“.
Ist Schönheit Kunst oder Natur, Norm oder Abweichung?
Da in der Moderne die Natur nicht mehr Maßstab der Realität sein konnte, verschoben sich die Referenzsysteme nochmals. Geblieben sind jedoch die drei Parameter Wert, Subjek- tivität und Urteil. Es muss also gestritten werden: Haben nicht schon Aphrodite, Athena und Hera, die Göttinnen des Olymps, darüber gestritten, wer die schönste sei? Und ist nicht auch im Märchen die Frage der bösen Stiefmutter an den Spiegel Ausgangspunkt des ‚plots’? Auch hier macht der Titel ‚Schönheit! Schönheit?‘ darauf aufmerksam, dass hier Setzungen (Ausrufezeichen!) angeboten, aber auch Fragen (Fragezeichen?) gestellt werden. Die Ausstel- lung ist eine Einladung, sich darüber zu ‚streiten’ im Sinne von Streitgespräch, Austausch, Dialog. (Auch bei Platon geschah ja das (Nach)Denken im Dialog, im Prozess)
Bekanntlich gibt es in jedem Bereich, im Alltag wie in der Musik, in der Literatur, sogar in Mathematik und Physik, Vorstellungen von Schönheit. Interessant ist dabei: Wenn man Schönheit zu formulieren versucht, geschieht das oft in Begriffspaaren wie ‚Einheit in der Vielfalt’ oder ‚Klarheit/Einfachheit, aber auch Rätselhaftigkeit’. Schönheit wird also als Span- nungsfeld umschrieben. Auch Philosophen haben seit jeher die Muskeln ihrer Urteils- und Erkenntniskräfte spielen lassen, um zu einem Urteil mit Anspruch auf Allgemeingültigkeit zu kommen (das allerdings auch jeweils ein Verfallsdatum hatte; sorry Kant!) Und, wie erwähnt, wurde spätestens nach 1968 und dem Urteil der ‚nicht-mehr-schönen Künste’ Schönheit gleichgesetzt mit Dekorativität, Verlogenheit und Gefälligkeit (i. e. ‚bürgerlich‘). In einer schlechten Welt habe das Schöne nichts zu suchen, es diene nur dem Eskapismus.
Eine gängige Redewendung lautet: Es ist zu schön, um wahr zu sein! Vor diesem Hinter- grund dieser Skepsis möchte ich versuchen, mich dem Phänomen zu nähern und gegenwärtige Antworten bzw. Angebote zur Frage nach dem Schönen, nach unserer ästhetischen Verfassung zur Diskussion stellen. Die Werke sind keine Antworten oder Illustrationen, sie ver- handeln die Setzung und die Fragestellung. Die Ausstellung ist also keine thematische Ausstellung: Die Werke illustrieren nicht, sie stellen Fragen, bieten Wege des Sehens, Empfindens und Nachdenkens. Und dies tut nicht nur jedes Werk für sich, sondern sie tun es auch im Dialog, im Austausch mit und in der Spannung zu den anderen. Die Präsentationsweise dieser Ausstellung suggeriert Argumente, stellt aber keine Behauptungen auf ...
Denn ... die Schönheit liegt im Auge der/s Betrachtenden .. und nun sind Sie dran!
Galerie Gisela Clement