Kuratiert von Gisela Clement und Miriam Schmedeke Eröffnung Dienstag, 11. Februar 2025, 19 Uhr Mit einer Einführung von Anne-Marie Bonnet
Renate Bertlmann und Yasmina Assbane erschaffen mit ihren Werken Bildwelten der Weiblichkeit, die heteronormative Vorstellungen aufgreifen und verfremden.
Seit den 1970er-Jahren hat die österreichische Künstlerin Renate Bertlmann (*1943 in Wien, lebt und arbeitet ebenda) ein vielseitiges Oeuvre geschaffen. Ihre Zeichnungen, Fotografien, Installationen, Skulpturen und Performances entspringen dem feministischen Aufbegehren einer Generation von Frauen und Künstlerinnen und überschreiten Grenzen. Erstmals formulierten Künstlerinnen dieser Zeit Gegenentwürfe zu den vorherrschenden Bildern von Frauen in Kunst und Gesellschaft.
Ihre Performance „Die schwangere Braut im Rollstuhl“ (1978 fotografisch von Margot Pilz dokumentiert) verhandelt kritisch Fragen nach Fremd- und Selbstbestimmung von Frauen in der Ehe und durch Schwangerschaft. Bertlmanns Bildsprache ist dabei stets grenzüberschreitend und durch die Gleichzeitig- keit von Gegensätzen geprägt.
Yasmina Assbane (*1968 in Belgien, lebt und arbeitet in Brüssel) verwendet für ihre Objekte gefundenes Keramik-, Porzellan- und Glasgeschirr, das aus weiblich gelesenen Räumen stammt. Im Zusammenspiel mit Nylon Strumpfhosen verfremdet sie die Gegenstände zu weiblichen Körpern und Geschlechtsorganen und entlarvt damit eine tief in unsere Gesellschaft eingeschriebene Heteronormativität.
Im Rahmen von MOTHER werden Renate Bertlmann und Yasmina Assbane erstmalig gemeinsam ausstellen.
Mit Dank an die Galerie Steinek, Wien.
Renate Bertlmann – Yasmina Assbane
Von der Kunst, Frau zu sein, oder von der Kunst der Kunst …
In dieser dialogisch inszenierten Ausstellung werden zwei künstlerische Positionen miteinander ins Gespräch gebracht, die auf je eigene Weise Vorstellungen von Kunst und Weiblichkeit / Frausein verhandeln. Bei allem Verbindenden begegnen hier zwei Generationen und Verfasstheiten einander, deren Korrespondenzen und Differenzen zugleich vielfältige zeit- und mentalitätsgeschichtliche Assoziationen evozieren.
Renate Bertlmanns (RB) reichhaltiges multimediales Werk (Zeichnung, Photographie, inszenierte Photographien, Performances, Objekte, Installationen, Videos, Symposien etc.) ist hier mit einer Auswahl graphischer und photographischer Werke aus den 1970er und 1980er Jahren vertreten, die doch einen markanten Einblick in ihr eindrucksvolles Oeuvre bieten. Es werden Geschlechter-Clichés hinterfragt, und vor dem Grenzbereich zwischen Kunst und Kitsch sowie vor Tabuverletzung bzw. -inszenierung wird nicht zurückgeschreckt.
Dass in der seit Jahrhunderten geltenden heteropatriarchalen Perspektivierung der westlichen Kunstgeschichte weibliche Kunstschaffende nicht vorkamen bzw. systematisch ignoriert wurden, ist nichts Neues. Gekämpft wird zwar schon länger, insbesondere seit den 1970er Jahren, aber erst in jüngerer Zeit setzte ein allmähliches Umdenken auf breiterer Basis ein. Die Diskriminierung der Frauen in der Kunstwelt war und ist nach wie vor nur ein Widerhall der allgemeinen gesellschaftlichen Missachtung bzw. Ungleichbehandlung. RB ist eine Galionsfigur der ersten Aktivistinnen-Generation in den 1970er und 80er Jahren, und es ist bezeichnend, dass auch ihr allgemeine Anerkennung und Würdigung erst spät (2017 Österreichischer Staatspreis) zuteilwurden; auch Louise Bourgeois und Maria Lassnig mussten erst 80 werden. Um die wechselvolle Geschichte aller Ungerechtigkeiten zu resümieren, mit denen Frauen nach wie vor zu kämpfen haben, ist hier leider nicht die Zeit.
In ihrem Werk entwickelte RB eine eigenwillige komplexe Weltanschauung, die das männliche aufklärerisch postulierte ‚Cogito ergo sum!‘ (Ich denke, also bin ich von René Descartes) durch ‚AMO ERGO SUM‘ (Ich liebe, also bin ich) ersetzt. Nicht der Verstand sondern das Herz ist das ‚Leitmedium‘ und die Trias ‚Pornographie, Ironie, Utopie‘ das Dreigestirn eines Kosmos‘, in dem die Zurichtungsrituale bisheriger geschlechtlicher Festlegungen, vor allem patriarchal geprägter sexueller Mechanismen, insbesondere phallische Dominanz-Clichés ad absurdum geführt werden. Vermeintlich virile Genialität wird ironisch, geist- und humorvoll vorgeführt und deren Hohlheit wie Machtstrukturen offengelegt. Pornographie als Feld des Krieges der Geschlechter wird hier nicht männlichen Phantasien überlassen, sondern gleichsam appropriiert ironisch, utopisch gebrochen. Normen, Strukturen, Erwartungen werden gegen den Strich gebürstet. Man wird einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt: Ekel vs. Zärtlichkeit, Berührung vs. Ablehnung, Anziehung vs. Abstoßung. Die Zeichnung ‚Rosemarie‘ auf der Einladung ist in ihrer Doppelbödigkeit ein gutes Beispiel, wird man doch vom zärtlich sinnlichen Rosa, der Wölbung der Brüste und den himbeerfarbenen Brustwarzen angezogen, um dann von der abrupten Schärfe der Klingen aus den Brustnippeln abgestoßen zu werden. Die Brust wird in ihrer Vieldeutigkeit - das Nährende der Mutter, der Amme, oder das erotische Attribut, das sexuelle Geschlechtsmerkmal - als Lockmittel genutzt, um dann pervertiert zu werden. Auch in den Fotosequenzen `Zärtliche Berührung‘ wird Zärtlichkeit anhand synthetischer Prothesen exerziert bzw. erneut mit spitzer Skalpellschärfe seziert.
Zum vielfältigen Assoziationsfeld der Brust gehört auch die Ikonographie der Mutter, des Gebärens und des Nährens. Das Produzierende (Schwangerschaft, Gebären), das Mütterliche, vielleicht auch als Anspielung auf künstlerisches Produzieren (‚en gestation‘) bildet eine Art Echoraum für viele Werke. So ziehen in der Ausstellung etwa die Zeichnungen mit sinnlichem, aufgeregtem Strich und anziehender Farbigkeit unsere Blicke auf ungewöhnliche Verfasstheiten (nervöse Schwangerschaft), Fehlgeburt/Schwangerschaftsabbruch (§ 244) nebst verdrängten Körperzonen (Muttermund) und lassen uns waidwund staunen; das In-time wird ‚ex-time‘ (Lacan). Empfindungen von Angst, Liebe, Gewalt im und am Leib der Frau sind nicht privat, sondern Resonanzraum der immer noch männlich geprägten sozio-politischen Umwelt.
Die Fokussierung auf das Geschlechtliche, das Sexuelle, das Mütterliche, das für die ersten Generationen feministischer Künstlerinnen kennzeichnend war, wurde zuweilen problematisiert (Selbstghettoisierung, Problematik ‚Frauen-Kunst/Kunst von Frauen‘ vs. Kunst), während das Phallische bzw. Machistische vieler männlicher Kunstschaffender nie thematisiert wurde (Männer-Kunst, -Phantasien, Jonathan Meese, Jeff Koons etc.). Gibt es auf diese Weise heute noch ‚feministische Kunst‘? Ist die Bezeichnung ‚Kunst von Frauen‘ noch immer diskriminierend?
Heutzutage gibt es so viele ‚Identitätsdiskurse (LGBTQ, Rassismen z.B.) Welche Rolle spielt die Konstruktion von Weiblichkeit noch? ‚Gender-Diskussionen‘ machen heute evident, dass Geschlechterkonstruktionen sozial und politisch relevant sind. Wann werden eigentlich ‚Bilder der Männer‘ (seit Theweleit?) noch thematisiert, insbesondere angesichts sog, starker Männer in der Politik? Aber ich schweife ab . . .
So komme ich zur zweiten Position, die eine ganz anders temperierte Praxis als Künstlerin entwickelt hat: Auch Yasmine Assbane (YA) lotet mit ihren eigenwilligen ‚Objekten‘ geschlechtliche und sexuelle Konstruktionen und Erwartungen aus, allerdings auf ganz andere Weise. Die benutzten Materialien (Geschirr, Strümpfe, Netzgewebe, Fell/Pelz, feine Leibwäsche, Haare) entstammen zwar dem weiblichen Alltag, sind aber in vielfältig überraschenden Weisen miteinander kombiniert. Porzellan, Geschirr gehören zum ‚Interieur‘, dem Häuslichen, dem ‚eigentlichen‘ Aktionsfeld der Frau. Zugleich sind sie glattes, ‚cleanes‘ Material, das in Kombination mit den Materialien schwarzer Netzstrumpf bzw. fleischfarbener Strumpf ambivalente Anmutungen erhält. Pragmatik und Nützlichkeit werden auf ungewöhnliche, unerwartete Weise mit Sexappeal und Sinnlichkeit kombiniert, und zugleich verweist dies auf unterschiedliche Erwartungen an Frauen: Hausfrau und Geliebte, das anrüchig anmutende schwarze Netzgewebe: Die Verbindung nicht zusammengehörender Materialien kreiert eine neue Realität! Bereits bei den Surrealisten war dies eine erprobte Strategie; man denke nur an Meret Oppenheims ‚Pelztasse‘. YA geht jedoch weiter, indem sie nicht nur mit der Form der Gefäße spielt, sondern auch mit dem Modus der Verfremdung bzw. Überformung: Wenn eine Vase zur Brust oder zum Bein wird. Besonders spannend ist das polymorphe Vexierspiel, und zwar auf der Form- wie auf der Material-Ebene: Material- und Formassoziationen werden nicht nur mit- und gegeneinander an- und eingesetzt, sondern zuweilen auch addiert. Wenn etwa ein Bein aus Glas mit Netzstrumpf und schwarzer Sandale kombiniert wird, kann man sowohl Gladiatoren-Sandale assoziieren oder auch Prothese, die allerdings durch die Netzmotive erotisiert werden. Auch wird mit der Transparenz, der Kälte und Zerbrechlichkeit des Glases eine Aura von Fragilität heraufbeschworen, vor der die sinnlichen, erotischen Assoziationen gleichsam heruntergekühlt werden.
Neben dem Spiel mit der Anmutung der Materialien nebst ihren vielfältig kontrastierenden Formen/Modi des Zusammenwirkens wird offensichtlich mit anspielungsreichen Vulva- oder Brust-Evokationen kokettiert, die vielen Betrachtenden Unbehagen bereite; doch sind hier durchaus auch Ironie und Humor im Spiel. YAs raffinierte Kombinatorik dekliniert eine breite Skala an Metamorphosen, Transformationen von und mit Formen und Materialien, die auf immer neue Weise das polyvalente Assoziationsfeld des Weiblichen (Gefäß, Interieur, Sinnlichkeit, Verführung) mit Scharfsinn, Esprit und Ironie auslotet. Materialitäten, Formen und Haptiken transzendieren einander in einer offenen Anspielungs- und Assoziationskette, die individuell wie auch kulturell determinierte Clichés und Einschreibungen infrage stellt. Diese Assoziationen wirken im Unterbewusstsein weiter … Die Bezeichnung als ‚Objekte‘ ist unbefriedigend, entwickeln sie doch geradezu eine individuelle Subjekthaftigkeit, eine Wesensart, gar ‚Entität‘. Als Heidegger einen Werkbegriff zu etablieren versuchte, hatte er nur ‚Ding‘ oder ‚Werk‘ parat; heute entdecken wir im Umgang mit nichtwestlichen Bildkulturen gerade ganz neue ‚Wesenheiten‘, für die unsere Sprache (noch) keine Wörter kennt. Wenn Paul Klee sagte: „Kunst macht das Unsichtbare sichtbar“, bereichert/erweitert YAs Kunst unsere Sensibilität, liefert ein Empfindungsspektrum mit neuen Dimensionen, die es noch zu erkunden gilt.
Wem die Themen ‚Mutter, Frau, Frau als Sexualobjekt‘ etc.. zu platt, zu cliché-beladen bzw. passé erscheinen, der denke nur an die aktuellen Nachrichten: Dort werden politisch reaktionäre Positionen nur deshalb bezogen, weil es darum geht, wieder ‚Männlichkeit‘ (what so ever …) walten zu lassen. Man denke nur an den Aufstand paranoider Machos gegen fluidere Geschlechtsbilder, in denen man die Zählebigkeit alberner, eigentlich skurriler, aber umso tragischerer geschlechtsspezifischer Rollenbilder vorgeführt bekommt (Macho & Tradewife)…
Im Übrigen ist heute der 375. Todestag von René Descartes (11. Februar 1650), dessen ‚Cogito ergo sum‘ den Vorrang des Rationalismus‘ in der westlichen Kultur etablierte, aber auch die vermeintliche Überlegenheit des Rational-Männlichen über das physische (emotionale, sinnliche, naturverbundene) Weibliche philosophisch zementierte. Intellektuell geprägt sind heute amoklaufende Mannsbilder mitnichten; verunsichert durch neue, fluidere Geschlechtsfestlegungen werden geradezu hysterisch obsolete Frauen- und Familienbilder beschworen … Dies verleiht sogar dem älteren Werk von Renate Bertlmann aktuelle Relevanz!
(Um nun zu Schluss zu kommen:)
RBs Kunst ist aktivistisch und kämpferisch, viel- und tiefsinnig, geprägt von jahrelangem feministischem Engagement und künstlerischer Experimentierlust. Auch YAs Kunst ist konzeptuell vielschichtig, erscheint leiser und verspielter, doch lotet auch sie neue Dimensionen des plastischen Schaffens aus, um Komplexität und Untiefen des Weiblichen/Frauseins (‚Femmitude‘) zu ergründen.
In meinem Titel sprach ich von der ‚Kunst, Frau zu sein‘, aber auch, vielleicht etwas kryptisch, von ‚Kunst der Kunst‘; beide Formulierungen loten die Ambivalenzen nicht nur des Frau- und Mutter-Seins aus sondern auch jene des Schöpfungsprozesses im Leben wie in der Kunst. Nie war das Persönliche, Private sozialer und politischer, das Intime ‚ex-timer‘ (Lacan).
In ihren Essays ‚Milky Ways’ (2023; Hatje Cantz) setzt sich Camille Henrot sich mit dem Thema ‚Mutterschaft‘ auseinander und formuliert den Wunsch, „dass Mütter nicht auf alte Systeme festgelegt werden sondern für neue Modelle des ‚Care/Caring‘, des Widerstands und der Innovation stehen. Meine Hoffnung ist, dass eines Tages Mutterschaft auf keine festgelegte Identität mehr verweisen wird, bestimmt durch Gender, Gesundheit und reproduktive und ökonomische Fähigkeit zu ‚care‘ (Pflege, Sorgfalt, Versorgung), sondern auf eine bestimmte Weise, der Welt zu begegnen. Mutter neu definiert, ist jemand, der bei-steht aber auch dagegen!“ (p. 13).
Auch Renate Bertlmann und Yasmine Assbane entwerfen neue ambivalente Vorstellungen von weiblichem Schöpfertum in allen seinen Dimensionen. Die Werke illustrieren keine Idee(n), im Gegenteil: Sie widerstehen und stellen uns Fragen. Beide verbindet, durchdrungen zu sein sowohl von einem Vertrauen in die Macht der Kunst als auch von den Zumutungen des Frauseins in dieser Welt. Ihr letztlich polymorph perverses poetisches Ausagieren in ihrem jeweiligen künstlerischen Tun beschert uns prismatische Werken, in denen sich das Wissen um unser weibliches Schicksal und die Hoffnungen auf die Macht der Kunst kristallisieren.
Danke Beiden!
Anne-Marie Bonnet
Februar 2025
Galerie Gisela Clement