Im Projektraum Joachim Bandau 4. Juni–6. August 2020
Die virtuos ausgeführten schwarzen Aquarelle von Joachim Bandau sind international bereits viel gezeigt worden. Vielfältige Schichtungen ergeben transparente Flächen, aus deren Verdichtung sich eine nicht zu fassende Raumtiefe entwickelt. Die Ausstellung widmet sich nun den fast unbekannten gelben Arbeiten, die nicht nur aufgrund ihrer Komplexität bestechen, sondern insbesondere durch ihre Farbigkeit ein wichtiges Kapitel in Joachim Bandaus Werk darstellen.
Stephan Berg
Who´s afraid of yellow and black?
Wenn man von Joachim Bandaus fulminanten Frühwerk antropomorpher, oft beweglicher techno-organischer Kunststoffwesen absieht, die gerade heute wieder enorm aktuell und virulent wirken, lässt sich das weitgespannte Werk dieses Künstlers im Wesentlichen als eine lebenslange Übung begreifen, Komplexität durch ein Höchstmaß an Konzentration und Reduktion zu erreichen. In seinen, mit Paul Virilios Bunker-Archäologie verknüpften, extrem verknappten Bunkerskulpturen, die ihren Holzkern unter einer hermetischen Bleiummantelung verschwinden lassen, werden anhand von ganz elementaren skulpturalen Objekten grundsätzliche Fragen nach dem Verhältnis von Innen und Außen, Körper und Raum, Licht und Dunkelheit, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gestellt, aber auch die existenzielle Ambivalenz zwischen Schutz und Bedrohung, Trauma und Heilung verhandelt. Auch in den wiederum auf einfachsten stereometrischen Gesetzmäßigkeiten basierenden Stahlarbeiten, den Wandstücken oder in der Gruppe der lackierten und wie schwebend wirkenden Bagan Lacquers wird diese Dialektik spürbar. Damit wird auch deutlich, dass das Werk dieses Künstlers bei aller formalen Nähe zum Minimalismus, beispielsweise mit der kühlen, selbstreferenziellen Logik der specific objects eines Donald Judd nur wenig zu tun hat. Bandaus Werk lebt vielmehr von den Impulsen, die es aus der Realität, aus den materiellen wie gesellschaftlichen Grundlagen unserer Wirklichkeit schöpft. Aber es sucht zugleich immer danach diese Spurenelemente soweit zu essenzialisieren und einer grundsätzlichen Formbefragung und -verdichtung zu unterziehen, bis das entstandene Werk seine eigene Sprache spricht, sich sozusagen zu sich selbst befreit hat. Insofern lässt sich das gesamte Oeuvre des Künstlers als Balanceakt zwischen Referenzialität und Autonomie begreifen.
Das gilt auch für die Aquarellarbeiten, die Bandaus Werk seit dem Jahr 1983 begleiten. Ganz ausdrücklich sind diese Aquarelle von allem Anfang an keine die Skulpturen begleitenden Skizzen, sondern ein eigenständiger Werkstrang, der bestimmte grundsätzliche Fragen seines skulpturalen Schaffens aufgreift und weiterdenkt, zugleich aber auch neue Fragen aufwirft und diskutiert. Den Schwerpunkt dieser Papierarbeiten bilden die sogenannten schwarzen Aquarelle, die Bandau bis heute fortführt. Die dabei gewählte Versuchsanordnung entspricht der Suche des Künstlers nach möglichst großer Einfachheit und Nachvollziehbarkeit des künstlerischen Aktes: Mit unterschiedlichen, bis zu 30 Zentimeter breiten japanischen Ziegenhaar-Pinseln trägt Bandau auf Büttenpapiere, die ein Format von bis zu 152 x 101 Zentimeter erreichen können, Farbbahn auf Farbbahn leicht versetzt übereinander in bis zu 40 Schichten auf, wobei der Verläufe von einem zarten wässrigen Hellgrau bis zu einem tiefen gesättigten Schwarzton reichen.
Wie in seinem skulpturalen Werk ist auch hier ein Prozess fortschreitender Reduktion und Vereinfachung zu beobachten. In den ersten Werkgruppen atmet noch eine komplexe Unruhe und Suche, werden Schichtungen entwickelt, die sich wild und scheinbar unkoordiniert überlagern. Die späteren Arbeiten dagegen haben ganz ihren meditativen Rhythmus gefunden, und bestehen beispielsweise aus einer Vielzahl konzentrierter Überlagerungen, bei denen die einzelnen Schichten jeweils nur minimal gegeneinander verschoben sind. In anderen Fällen stellt der Künstler zwei aus vielen Schichten bestehende Farbfelder nebeneinander beziehungsweise gegeneinander, und richtet den Akzent damit stärker auf den Raum zwischen beiden tiefgestaffelten Schwarzflächen. Häufig arbeitet Bandau auch nur mit wenigen Überlagerungen von hellen Grautönen und erzeugt daraus eine luzide, atmende Transparenz, die in reizvollem Kontrast zu dem atmenden Schwarz der übrigen Arbeiten steht.
Der Künstler selbst hat im Zusammenhang mit seinen schwarzen Aquarellen von einer „transparenten Architektur“ gesprochen, und weist damit implizit auf den Zusammenhang mit seinen Skulpturen hin. Tatsächlich baut sich aus den Schicht für Schicht dunkler werdenden Pigmentbahnen ein Raum auf, aber anders als in den Skulpturen, entsteht hier eine Raumtiefe, in der das Auge sich verliert, weil es innerhalb dieser materiell gesehen flachen Tiefe keine Begrenzung gibt. Der Blick wird vielmehr von dem satten, samtigen Schwarz angelockt und gleitet dann in ein transparentes Dunkel das grundsätzlich bodenlos ist. Insofern sind die schwarzen Aquarelle einerseits eine Fortsetzung der Auslotung des Raumes, die Bandau in seinen Skulpturen betreibt, aber gewissermaßen auch eine paradoxe Inversion der dort betriebenen Recherche. Wo die Stahl- und Blei/Holz-Körper ihr Volumen stets messerscharf begrenzen und damit ihr Innen, ihr Außen, ihren Raum und den Raum der Umgebung stets ganz genau bestimmen, wird dieser in den Aquarellen sozusagen aufgelöst und findet seinen Halt nur durch die Begrenzung des Bildträgers.
Ein weiterer wesentlicher Unterschied zu den Skulpturen ergibt sich allein schon durch das Schicht-Prinzip der Aquarelle, das zumindest potenziell den jeweiligen Entstehungsprozess jeder Arbeit vom Anfang bis zum Ende transparent macht, während die Stahlskulpturen und Wandstücke auf ihrer hermetischen Kompaktheit bestehen. Auch wenn kein Betrachter in der Lage sein dürfte 20, 30 oder mehr übereinander gelegte Farbbahnen tatsächlich Schicht für Schicht voreinander zu differenzieren, liefert jedes Blatt doch grundsätzlich alle Informationen, die nötig wären, um jeden einzelnen Schritt, der zur seiner Herstellung aufgewendet wurde, nachvollziehen zu können. Schon allein dadurch werden die Aquarelle auch zu Zeitspeichern. Dies umso mehr, als jede einzelne Farbbahn zunächst trocknen muss, bevor die nächste Bahn aufgetragen werden kann. Im Ergebnis lassen sich bei den Aquarellen also gewissermaßen zwei Geschwindigkeiten, zwei Zeitlichkeiten beobachten: Da ist zum einen die gleichmäßige Schnelligkeit, mit der jede einzelne Bahn, ohne abzusetzen, und ohne Ruckler oder Verrutschen der Hand in einer Bewegung gezogen werden muss. Und auf der anderen Seite die im Verhältnis sehr viel längere Trocknungszeit, die zwischen den einzelnen Bahnen liegt. Jedes Aquarell besteht so gesehen zum einen aus der Zeit, die aufgewendet werden muss, um die einzelnen Farbbahnen zu ziehen, und aus der Zeit, die nötig war, damit jede Bahn tatsächlich ihre distinktive Selbständigkeit bewahren konnte.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich eine interessante, vom Künstler allerdings nicht beabsichtigte Parallele zum Medium der analogen Fotografie. Nicht nur erinnern Bandaus semitransparente Schwarzüberlagerungen in ihrer Serialität an Filmstreifen und Fotonegative, auch ihre Herstellung zeigt Ähnlichkeiten zur fotografischen Praxis. Auch dort gibt es die Zusammenführung zweier unterschiedlicher Zeitlichkeiten: Zum einen den Augenblick, an dem der Auslöser das Motiv aufnimmt, in dem Zeit und Bild quasi gleichzeitig synchronisiert scheinen, ebenso wie dies für das Momentum gilt, in dem Bandau seine einzelnen Farbbahnen zieht. Und zum anderen der langsame Prozess, in dem sich das tatsächliche endgültige Bild im Entwicklerbad der Dunkelkammer zeigt, der wiederum den Trocknungs-Phasen zwischen den einzelnen Farbschichten entspricht. Aus diesen zwei unterschiedlichen Geschwindigkeiten ergibt sich letztlich auch die Nicht-Determinierbarkeit dieser Werke, bei denen das Flimmern der einzelnen, nur leicht gegeneinander verschobenen Malschichten verhindert, dass wir das Bild als Einheit sehen und begreifen können.
Neben dem Diskurs über Raum und Zeit gibt es ein drittes großes Thema, das für die Arbeit an den Aquarellen konstitutiv ist: Die Auslotung der Dichotomie zwischen Linie und Fläche, zwischen Zeichnung und Malerei, die dadurch entsteht, dass jede Farbbahn, die Bandau als homogene Fläche auf die haptische Oberfläche des Aquarellpapiers aufträgt, eine feine, messerscharfe Wasserlinie an ihrem Rand hinterlässt. Diese Wasserlinie ist hier also keine zusätzliche lineare Setzung, die der Malfläche hinzugefügt wurde, sie ist als notwendige Bedingung der breiten Pinselbahn dieser sozusagen eingeschrieben. Anders gesagt: Farbfläche und Linie existieren hier in symbiotischer, untrennbarer Koexistenz. Kein Aquarellblatt definiert sich allein über die Farbflächen, die aufeinandergelegt werden, sondern stets im selben Maß über die jeweiligen Wasserlinien, die im Trocknungsprozess das in ihnen enthaltene Farbpigment zu den hauchfeinen Demarkationslinien verdichten, die den Blättern ihren strukturellen Halt geben. Zusammengenommen sorgen all diese an ihre Farbflächen gebundenen Linien einerseits für ein subtiles Vibrieren der Bildfläche. Andererseits weisen sie auch auf die grundsätzliche Dialektik zwischen unbemalter und bemalter Fläche hin und damit auch ganz deutlich auf das Verhältnis zwischen Blattrand und Mal/Bildrand.
Innerhalb dieser mittlerweile fast vierzigjährigen Beschäftigung mit den schwarzen Aquarellen sind die gelben Aquarelle eine Episode geblieben, allerdings eine wichtige, weil sie sichtbar macht, welche fundamentalen Konsequenzen der scheinbar simple, formale Wechsel von Schwarz zu leuchtendem Kadmium-Gelb für den gesamten Werkblock bedeutete. Ursprünglich, in den Jahren 1994-97 hatte Bandau das Gelb zunächst nur als Grundierung für seine schwarzen Farbbahnen benützt, um damit die Tiefe und Intensität des entstehenden Fast-Schwarzraums zu steigern. Erst 2004-2006 folgte dann eine Phase mit reinen Gelb-Aquarellen, wobei alle Formatversionen von den kleinen 50 x 35 Zentimeter messenden Arbeiten bis zu den ganz großen Blättern mit 152 x 101 Zentimeter durchgespielt werden. Danach erklärte Bandau das Experiment mit dem Farbwechsel für sich als abgeschlossen, nicht zuletzt, weil er erkannte, das „gelb sich nicht steigern lässt“ (Bandau). Was der Künstler damit meint, erschließt sich unmittelbar beim Blick auf diese Werkgruppe. Während die Staffelungen von hellstem Grau zu Fast-Schwarz mühelos Dutzende voneinander differenzierte Schichtungen zulassen, ist der Bogen, der sich von weiß zu gelb spannen lässt mit maximal 5-6 Schichten erreicht. Damit ergeben sich für die gelben Aquarelle Komplexitäts-Begrenzungen, die für die schwarzen Arbeiten so nicht existieren. Dennoch gibt es auch in dieser Werkgruppe ganz hinreißende Beispiele, gerade in den ganz sparsamen Blättern, in denen Bandau beispielsweise mit wenigen Bahnen eines verhaltenen, introvertierten Gelbtons ein formal wie gemauert wirkendes Feld erzeugt, das durch die Farbe gleichzeitig eine luzide Transparenz und ätherische Leichtigkeit erhält.
Ihre im Verhältnis zu den schwarzen Arbeiten größte Unterschiedenheit und ihre eigene distinktive Qualität gewinnen die gelben Aquarelle da, wo sie ganz auf die Leuchtkraft des Kadmium-Gelbs setzen. Während die schwarzen Arbeiten das Licht quasi in sich hinein saugen und im Inneren ihres Dunkels zu einem unbestimmten, aber tiefen Raum transformieren, strahlt das Licht aus dem Gelb mit geradezu unverschämter Direktheit und überwältigt unseren Sehnerv mit seiner Farb-Totalität. Auch das Schwarz formuliert einen Farbraum, aber gewissermaßen einen nach innen gewendeten, der näher beim Körper, bei der Skulptur und der Architektur siedelt. Das Gelb aber entfernt sich von jeglichem skulpturalen Diskurs, setzt ganz auf die herausfordernde Präsenz der Farbe und sucht dabei nicht nur den Dialog mit dem Betrachter, sondern nötigt diesem geradezu seine Realität auf. Während die schwarzen Arbeiten von einem metaphysisch-meditativen Grundimpuls bestimmt sind, springt das Gelb den Betrachter gewissermaßen mit Lichtgeschwindigkeit an und okkupiert den Raum und seine Besucher vollständig und fast physisch. In den gelben Aquarellen erleben wir insofern das, was jede Malerei im Kern zumindest mit bewegt: Die Evokation der Farbe als einer Realität, die in der Lage ist ihr eigenes Licht, ihren eigenen Raum und ihre eigene Zeitlichkeit zu erzeugen.
Galerie Gisela Clement