Group Show 11. Dezember–12. März 2020/2021
In ihrem Schlüsselwerk „Die imaginierte Weiblichkeit“ von 1979 beschreibt Silvia Bovenschen die Diskrepanz zwischen der „Schattenexistenz“ von Frauen in der Kultur und dem gleichzeitigen „Bilderreichtum“ des Weiblichen. So stünden „einem großen und breiten Panoptikum imaginierter Frauenfiguren [stehen] nur wenige imaginierende Frauen gegenüber“. Dieser frühe Beitrag der feministischen Wissenschaft geht einher mit dem Entgegenwirken von Künstlerinnen gegen diesen männlichen und patriarchal strukturierten Bilderreichtum. Mit neun Beiträgen aus verschiedenen Generationen spürt die Ausstellung dem Bild der Frau im Werk von Künstlerinnen nach.
Im Zentrum ihrer Auseinandersetzungen steht das Porträt und die Interventionen sind vielfältig: sie zerlegen, ordnen neu an, hinterfragen und zeigen auf, was oft selbstverständlich empfunden wird.
ULRIKE ROSENBACH ist mit mehreren Arbeiten in der Ausstellung vertreten, die weibliche Stereotype entlarven und umkehren. Ihre ‚Wachshörnerhaube‘ orientiert sich an spätmittelalterlichen Vorbildern der weiblichen Kopfbedeckung für verheiratete Frauen, wie sie beispielsweise von Margarete van Eyck, der Frau des berühmten Malers getragen wurde. Ihr Porträt mit der standesgemäßen Haube ist mit der Inschrift „coniunx meus [...] me complevit“ versehen, was übersetzt heißt ‚Mein Ehemann hat mich vollendet‘.
Rosenbachs Exemplar der Hörnerhaube ist aus zwei Teilen gefertigt, die sie performativ einsetzt, um ihre Bedeutung zu persiflieren. So verwandelt sich die Haube in den Bart eines gehörnten Mannes.
ANNEGRET SOLTAU ist mit zwei verschiedenen Werkserien in der Ausstellung vertreten. Bei beiden arbeitet die Künstlerin mit Fotovernähungen, einer Technik, die an typisch ‚weibliche‘ Praktiken angelehnt ist und auf visuell sehr anschaulicher Ebene, die Konstruktion von Identität vermittelt. Die Serie „Mutter-Glück" thematisiert die Rolle der Frau in ihrer biologischen und wohl 'natürlichsten' Form – als Mutter.
Durch die Vernähung der drei verschiedenen Gesichter, die sich maßgeblich durch Alter und Physiognomie unterscheiden, entstehen mitunter groteske Fratzen. Mit dieser durchaus brutalen Auseinandersetzung stellt die Künstlerin, die bereits in ihren frühen Performances den Faden einsetzte, um das Gesicht einzuschnüren, dadurch zu verformen und zu entstellen, das Subjekt Mutter in Frage. Wieviel verliert sich in der Mutter? Was bleibt übrig von der Frau, die sie einst war? Was heißt das eigentlich, Mutter zu sein?
Auch in den Arbeiten von SABRINA JUNG stellen sich Fragen, die eng mit der weiblichen und geschlechtlichen Identität verbunden sind. Ihre „WoMen“ zeigen gefundene, historische Porträtfotografien zweier Frauen, die von der Künstlerin nachträglich koloriert wurden. Dadurch tritt eine Androgynität der Gesichtszüge hervor, die sich im Nachhinein nur noch schwer lokalisieren lässt. Haben die abgebildeten Frauen wirklich diese scheinbar ‚männlichen‘ Charakteristika oder handelt sich um eine Täuschung unserer Wahrnehmung, die erst durch die nachträgliche Bearbeitung hervortritt? Die Arbeiten von Sabrina Jung machen deutlich, dass unsere Kategorisierung von ‚weiblich‘ und ‚männlich‘ auf subjektiven und kulturell geprägten Mustern beruhen, die sich objektiv nicht bewahrheiten müssen – sie beziehen sich auf den Grundgedanken der feministischen Argumentation: „Man ist nicht als Frau geboren, man wird es.“ (Simone de Beauvoir)
Galerie Gisela Clement