Yasmina Assbane (lebt und arbeitet in Brüssel) verwendet gefundenes Keramik-, Porzellan- und Glasgeschirr für ihre Objekte, die aus weiblich gelesenen Räumen stammen. Die unscheinbaren Alltagsgegenstände, die die Künstlerin auf Flohmärkten oder Haushaltsauflösungen sammelt, erhalten ein zweites Leben.
Mit Hilfe von Nylonstrumpfhosen arrangiert sie Objekte, die sinnlich und doppeldeutig weibliche Körper und Geschlechtsorgane suggerieren. Seiner ursprünglichen Verwendung beraubt, spricht das Geschirr durch die Umformung der Künstlerin eine völlig neue Sprache. In ihrem Arbeitsprozess sucht die Künstlerin nach Momenten des täglichen Lebens, die durch kleine Eingriffe eine neue ästhetische Form erhalten. Auf diese Weise zeigt Yasmina Assbane, wie viel Bedeutung und Symbolkraft in unscheinbaren Dingen stecken kann.
Im Kontext der Ausstellung MOTHER
Renate Bertlmann, Yasmina Assbane
SPARK Art Fair Vienna 2025
Yasmina Assbane
In dieser dialogisch inszenierten Ausstellung werden zwei künstlerische Positionen miteinander ins Gespräch gebracht, die auf je eigene Weise Vorstellungen von Kunst und Weiblichkeit / Frausein verhandeln. Bei allem Verbindenden begegnen hier zwei Generationen und Verfasstheiten einander, deren Korrespondenzen und Differenzen zugleich vielfältige zeit- und mentalitätsgeschichtliche Assoziationen evozieren.
Renate Bertlmanns (RB) reichhaltiges multimediales Werk (Zeichnung, Photographie, inszenierte Photographien, Performances, Objekte, Installationen, Videos, Symposien etc.) ist hier mit einer Auswahl graphischer und photographischer Werke aus den 1970er und 1980er Jahren vertreten, die doch einen markanten Einblick in ihr eindrucksvolles Oeuvre bieten. Es werden Geschlechter-Clichés hinterfragt, und vor dem Grenzbereich zwischen Kunst und Kitsch sowie vor Tabuverletzung bzw. -inszenierung wird nicht zurückgeschreckt.
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So komme ich zur zweiten Position, die eine ganz anders temperierte Praxis als Künstlerin entwickelt hat: Auch Yasmine Assbane (YA) lotet mit ihren eigenwilligen ‚Objekten‘ geschlechtliche und sexuelle Konstruktionen und Erwartungen aus, allerdings auf ganz andere Weise. Die benutzten Materialien (Geschirr, Strümpfe, Netzgewebe, Fell/Pelz, feine Leibwäsche, Haare) entstammen zwar dem weiblichen Alltag, sind aber in vielfältig überraschenden Weisen miteinander kombiniert. Porzellan, Geschirr gehören zum ‚Interieur‘, dem Häuslichen, dem ‚eigentlichen‘ Aktionsfeld der Frau. Zugleich sind sie glattes, ‚cleanes‘ Material, das in Kombination mit den Materialien schwarzer Netzstrumpf bzw. fleischfarbener Strumpf ambivalente Anmutungen erhält. Pragmatik und Nützlichkeit werden auf ungewöhnliche, unerwartete Weise mit Sexappeal und Sinnlichkeit kombiniert, und zugleich verweist dies auf unterschiedliche Erwartungen an Frauen: Hausfrau und Geliebte, das anrüchig anmutende schwarze Netzgewebe: Die Verbindung nicht zusammengehörender Materialien kreiert eine neue Realität! Bereits bei den Surrealisten war dies eine erprobte Strategie; man denke nur an Meret Oppenheims ‚Pelztasse‘. YA geht jedoch weiter, indem sie nicht nur mit der Form der Gefäße spielt, sondern auch mit dem Modus der Verfremdung bzw. Überformung: Wenn eine Vase zur Brust oder zum Bein wird. Besonders spannend ist das polymorphe Vexierspiel, und zwar auf der Form- wie auf der Material-Ebene: Material- und Formassoziationen werden nicht nur mit- und gegeneinander an- und eingesetzt, sondern zuweilen auch addiert. Wenn etwa ein Bein aus Glas mit Netzstrumpf und schwarzer Sandale kombiniert wird, kann man sowohl Gladiatoren-Sandale assoziieren oder auch Prothese, die allerdings durch die Netzmotive erotisiert werden. Auch wird mit der Transparenz, der Kälte und Zerbrechlichkeit des Glases eine Aura von Fragilität heraufbeschworen, vor der die sinnlichen, erotischen Assoziationen gleichsam heruntergekühlt werden.
Neben dem Spiel mit der Anmutung der Materialien nebst ihren vielfältig kontrastierenden Formen/Modi des Zusammenwirkens wird offensichtlich mit anspielungsreichen Vulva- oder Brust-Evokationen kokettiert, die vielen Betrachtenden Unbehagen bereite; doch sind hier durchaus auch Ironie und Humor im Spiel. YAs raffinierte Kombinatorik dekliniert eine breite Skala an Metamorphosen, Transformationen von und mit Formen und Materialien, die auf immer neue Weise das polyvalente Assoziationsfeld des Weiblichen (Gefäß, Interieur, Sinnlichkeit, Verführung) mit Scharfsinn, Esprit und Ironie auslotet. Materialitäten, Formen und Haptiken transzendieren einander in einer offenen Anspielungs- und Assoziationskette, die individuell wie auch kulturell determinierte Clichés und Einschreibungen infrage stellt. Diese Assoziationen wirken im Unterbewusstsein weiter … Die Bezeichnung als ‚Objekte‘ ist unbefriedigend, entwickeln sie doch geradezu eine individuelle Subjekthaftigkeit, eine Wesensart, gar ‚Entität‘. Als Heidegger einen Werkbegriff zu etablieren versuchte, hatte er nur ‚Ding‘ oder ‚Werk‘ parat; heute entdecken wir im Umgang mit nichtwestlichen Bildkulturen gerade ganz neue ‚Wesenheiten‘, für die unsere Sprache (noch) keine Wörter kennt. Wenn Paul Klee sagte: „Kunst macht das Unsichtbare sichtbar“, bereichert/erweitert YAs Kunst unsere Sensibilität, liefert ein Empfindungsspektrum mit neuen Dimensionen, die es noch zu erkunden gilt.
Wem die Themen ‚Mutter, Frau, Frau als Sexualobjekt‘ etc.. zu platt, zu cliché-beladen bzw. passé erscheinen, der denke nur an die aktuellen Nachrichten: Dort werden politisch reaktionäre Positionen nur deshalb bezogen, weil es darum geht, wieder ‚Männlichkeit‘ (what so ever …) walten zu lassen. Man denke nur an den Aufstand paranoider Machos gegen fluidere Geschlechtsbilder, in denen man die Zählebigkeit alberner, eigentlich skurriler, aber umso tragischerer geschlechtsspezifischer Rollenbilder vorgeführt bekommt (Macho & Tradewife)…
Im Übrigen ist heute der 375. Todestag von René Descartes (11. Februar 1650), dessen ‚Cogito ergo sum‘ den Vorrang des Rationalismus‘ in der westlichen Kultur etablierte, aber auch die vermeintliche Überlegenheit des Rational-Männlichen über das physische (emotionale, sinnliche, naturverbundene) Weibliche philosophisch zementierte. Intellektuell geprägt sind heute amoklaufende Mannsbilder mitnichten; verunsichert durch neue, fluidere Geschlechtsfestlegungen werden geradezu hysterisch obsolete Frauen- und Familienbilder beschworen … Dies verleiht sogar dem älteren Werk von Renate Bertlmann aktuelle Relevanz!
(Um nun zum Schluss zu kommen:)
RBs Kunst ist aktivistisch und kämpferisch, viel- und tiefsinnig, geprägt von jahrelangem feministischem Engagement und künstlerischer Experimentierlust. Auch YAs Kunst ist konzeptuell vielschichtig, erscheint leiser und verspielter, doch lotet auch sie neue Dimensionen des plastischen Schaffens aus, um Komplexität und Untiefen des Weiblichen/Frauseins (‚Femmitude‘) zu ergründen.
In meinem Titel sprach ich von der ‚Kunst, Frau zu sein‘, aber auch, vielleicht etwas kryptisch, von ‚Kunst der Kunst‘; beide Formulierungen loten die Ambivalenzen nicht nur des Frau- und Mutter-Seins aus sondern auch jene des Schöpfungsprozesses im Leben wie in der Kunst. Nie war das Persönliche, Private sozialer und politischer, das Intime ‚ex-timer‘ (Lacan).
In ihren Essays ‚Milky Ways’ (2023; Hatje Cantz) setzt sich Camille Henrot sich mit dem Thema ‚Mutterschaft‘ auseinander und formuliert den Wunsch, „dass Mütter nicht auf alte Systeme festgelegt werden sondern für neue Modelle des ‚Care/Caring‘, des Widerstands und der Innovation stehen. Meine Hoffnung ist, dass eines Tages Mutterschaft auf keine festgelegte Identität mehr verweisen wird, bestimmt durch Gender, Gesundheit und reproduktive und ökonomische Fähigkeit zu ‚care‘ (Pflege, Sorgfalt, Versorgung), sondern auf eine bestimmte Weise, der Welt zu begegnen. Mutter neu definiert, ist jemand, der bei-steht aber auch dagegen!“ (p. 13).
Auch Renate Bertlmann und Yasmine Assbane entwerfen neue ambivalente Vorstellungen von weiblichem Schöpfertum in allen seinen Dimensionen. Die Werke illustrieren keine Idee(n), im Gegenteil: Sie widerstehen und stellen uns Fragen. Beide verbindet, durchdrungen zu sein sowohl von einem Vertrauen in die Macht der Kunst als auch von den Zumutungen des Frauseins in dieser Welt. Ihr letztlich polymorph perverses poetisches Ausagieren in ihrem jeweiligen künstlerischen Tun beschert uns prismatische Werken, in denen sich das Wissen um unser weibliches Schicksal und die Hoffnungen auf die Macht der Kunst kristallisieren.
Danke Beiden!
Anne-Marie Bonnet
Februar 2025
Galerie Gisela Clement